"Bittersweet Symphony"
Kapitel 19 – ‚do you believe in vampires?’ Dieser Engel war wirklich unglaublich, überlegte Alex verzückt. Er beobachtete Beth, wie sie auf dem Boden vor dem Fernseher hockte. Ihre Nasenspitze berührte fast die Mattscheibe und ein stummes ‚Ohhhh’ kam über ihre Lippen. Er räusperte sich. „Ehm, Beth…du kannst die Bilder besser erkennen, wenn du von weiter weg guckst.“ Wenn er geahnt hätte, dass sie so auf den Fernseher reagieren würde, hätte er ihn schon früher eingeschaltet, denn ihre Begeisterung für die Flimmerkiste war interessanter als das TV-Programm selbst.
Die Stimmung in seiner Wohnung war an diesem Abend besinnlicher als jemals zuvor. Dank des Weihnachtsbaumes und des wieder fast gesunden Engelchens, welches sich nur schwer von ihrem Platz direkt vor dem Fernseher lösen konnte und nun zu ihm auf die Couch kam. Wie selbstverständlich kuschelte sie sich in seine Arme und folgte gebannt dem abendlichen Spielfilm.
„So sieht wirklich ein perfekter Feierabend aus“, murmelte er in ihr Haar und drückte einen Kuss auf ihren blonden Schopf, bevor er einmal tief ihren Geruch in seine Nase sog.
Beth richtete sich neben ihm auf und schaute ihn mit einem leicht besorgten Gesichtsausdruck an: „Alex, ich muss dir etwas Wichtiges sagen!“ Sie hatte es wirklich lange genug herausgezögert und jetzt, fand sie, war der perfekte Zeitpunkt ihm in Ruhe zu erklären, dass sein bester Freund zwar ein Vampir war…aber sehr wohl noch an ihn dachte und ihn ebenso vermisste. „Ich…ich“, begann sie und hielt sofort wieder inne. Der Satz wollte einfach nicht über ihre egoistischen Lippen die nur eins wollten, und das war ihn nochmal zu küssen anstatt ihm die Nachricht zu übermitteln, die ihn wieder richtig glücklich machen würde. Beth krallte die Zehen verkrampft zusammen und presste die Lippen aufeinander. Es ist dein Auftrag ihn glücklich zu machen! mischte sich ihr Gewissen ein. Verflixt, dieser innere Kampf zwischen ihrer guten Moral und ihren eigenen Wünschen musste endlich ein Ende haben.
Doch ehe der Engel etwas sagen konnte, kam ihr Schützling ihr zuvor und berührte sanft ihre Schulter um sie vom reden abzuhalten: „Beth, warte…bevor du etwas sagst.“ Etwas wichtiges…..sie wollte ihm etwas Wichtiges sagen? Etwas was ihn und sie betraf? Oder vielleicht ihre Gefühle zueinander? Immerhin hatte sich ihre Beziehung in den letzten Tagen ziemlich intensiviert…und wenn sie ihm das sagen wollte was er ihr schon lange sagen wollte…dann wollte er ihr auf jeden Fall zuvor kommen. Doch bevor er ihr seine Gefühle offenbarte, musste er noch etwas anderes loswerden. Den ganzen Abend hatte er auf den passenden Moment gewartet und jetzt konnte er nicht mehr damit warten. „Warte hier“, befahl er seinem himmlischen Gast, seine Ringelsöckchen huschten über den Boden und er wühlte in seinem Rucksack nach dem Geschenk welches er für sie gekauft hatte. Es war nichts besonderes, aber als er auf dem Weg zum Weihnachtsbaumstand an dem kleinen Juwelier vorbeigekommen war und es dort im Schaufenster erblickt hatte, musste er sofort an Beth denken. Als er die zarte Kette mit dem einzelnen goldenen Flügel als Anhänger sah, musste er sie einfach kaufen.
Ein kleines bisschen verlegen setzte er sich wieder neben seinen Engel, die Hand mit der kleinen Box hinter dem Rücken verborgen. „Ich habe dir was mitgebracht.“
Sofort hatte Beth ihr eigentliches Vorhaben vergessen. Sie hielt sich die Hand vor den Mund um ein begeistertes Kreischen zu unterdrücken, als sie sah wie Alex seine Hand hinter dem Rücken hervorholte und die Schmuckschatulle vor ihren Augen öffnete. „Das…das ist wunderschön! Ist das wirklich für mich?“ fragte sie euphorisch und griff zaghaft noch dem filigranen Anhänger.
„Ich musste an dich denken, als ich es gesehen habe. Sowieso musste ich den ganzen Tag über an dich denken, Beth“, gestand Alex flüsternd, nahm ihr das Schmuckstück langsam aus der Hand und krabbelte auf den Polstern der Couch hinter sie um ihr das Geschenk umzulegen. Er ließ sich Zeit und überprüfte mehr als einmal den Sitz der Kette an ihrem anmutigen Hals. Als er wieder vor sie rückte hatte Beth Tränen in den Augen.
„Mir hat noch nie jemand ein Geschenk gemacht“, hauchte sie ihm entgegen. „Es ist wunderschön.“
Alex berührte den kleinen Flügelanhänger. Ohne ihr dabei ihn die Augen zu sehen sprach er ganz ernst: „Du bist wunderschön.“ Erst nach dem Kompliment wagte er es ihrem Blick zu begegnen.
Beth wickelte nervös eine Haarsträhne um den Zeigefinger, ihre Augen wanderten unruhig im Raum hin und her…….„JOSEFISTEINVAMPIR!“ platzte es augenblicklich aus ihr heraus.
Alex wich zurück. „Was“? Seine Stimme hatte sich urplötzlich von dem verliebten Flüstern in ein fast hysterisches Keifen verwandelt. War Beth etwa immer noch im Fieberwahn?
„Ich kann es nicht länger für mich behalten, sonst platze ich noch!“ Beth sah seinen verstörten Blick und legte eine Hand auf seinen Arm. So einfühlsam wie möglich versuchte sie die richtigen Worte zu finden: „Du erinnerst dich an meine zweite Nacht auf Erden? An den Morgen an dem ich erst heimkam als du schon wach warst?“
Alex’ Gesicht fiel in sich zusammen. Er nickte langsam mit dem Kopf, aber sagte kein Wort.
„Ich war in dieser Nacht bei Josef.“
„Josef?“ Sie war bei JOSEF? Er glaubte sich verhört zu haben doch dann sprach Beth weiter: „Ja, bei deinem besten Freund. Der dich immer noch sehr gern hat und der dich vermisst.“
Ihr Schützling stieß ein abfälliges Lachen aus. „Was redest du da?“
„Ich rede davon, dass du die ganze Zeit in der Annahme warst, dass Josef dich vergessen hat…aber das hat er nicht! Er vermisst dich genau so wie du ihn……und dass er damals den Kontakt zu dir abgebrochen hat, geschah nur aus einem Grund, Alex. Er wollte dich beschützen.“
„Beschützen? Vor was?“
„Er wollte dich vor der dunkeln Seite in ihm beschützen. Alex, er weiß nicht, dass der gute Kern ihn ihm viel mächtiger ist als das Böse. Bitte Alex, gebt eurer Freundschaft noch eine Chance. Wenn er weiß, dass du ihm vertraust, dann ist es egal WAS er ist….“, Beth flehte ihren Schützling an, doch der verstand nur Bahnhof.
„WAS er ist? Dunkle Seite? Beth, ehm…“, Alex hob den Zeigefinger um sie zu stoppen, „….ich komm irgendwie nicht ganz mit.“
„Dein Freund Josef ist ein Vampir!“ Kaum hatte Beth den Satz ausgesprochen, sprang Alex von der Couch. Er hielt ihr die Handfläche entgegen und deutete ihr damit, dass sie ihre Ausführungen über seinen besten Kumpel stoppen sollte. Aufgeregt ging ein paar Schritte, stoppte und ging die paar Schritte zurück…immer und immer wieder….bis Beth glaubte schon eine Spurrille im Dielenfußboden erkennen zu können.
„Ein Vampir? So wie dieser Typ im Fernsehen, der in Kühltruhen schläft? Mick St.Johnson oder so? Das kann nicht dein Ernst sein?“ fragte er schließlich nach einer gefühlten halben Stunde des Schweigens.
„St. Johnson?“ Beth zog eine Augenbraue hoch. Sie erhob sich von ihrem Platz und stellte sich Alex in den Weg. Sein auf und ab gehen machte sie ganz nervös.
„Du meinst er trinkt Blut und lebt ewig und…..“, das nächste Wort kam höchst ungläubig über Alex Lippen, „…glitzert….im Sonnen schein …..“ So was würde Josef nie freiwillig tun.
„Ich glaube nicht, dass er glitzert“, Beth schüttelte den Kopf, als sie merkte wie sie vom Thema abkamen. „Aber bei den anderen Vermutungen hast du Recht. Er ernährt sich von Menschenblut, ABER er ist kein Mörder falls du das jetzt denkst. Er hat so eine Art Abkommen mit Frauen getroffen die er Freshies nennt….“, sie verzog den Mund und sprach weiter: „Die Sache hab ich auch nicht so richtig kapiert.“
Alex ließ seine Augen durch den Raum schweifen während er versuchte einen Sinn in all den absurden Worten Beth zu finden. Fiebrig war sein Kopf dabei die Informationen zu verarbeiten. Sein Blick stoppte an der Whiskyflasche. „Ich muss nachdenken!“ sprach er und griff nach einem Glas aus dem Küchenschrank, füllte es, kippte die hochprozentige Flüssigkeit in einem Zug die Kehle runter und goss sich gleich noch einen Drink ein. Beth konnte ein kleines Lächeln auf seinen Lippen erkennen.
Als sie einige schweigsame Stunden später die Bettdecke über ihren schnarchenden Schützling zog war sie guter Hoffnung, dass Alex die Nachricht halbwegs verkraftet hatte. Sie spielte nachdenklich mit dem Anhänger an ihrem Kettchen und rechnete jeden Moment damit, dass der Himmel sie zurückrufen würde. Aber nichts passierte.