Halloween Geschichte Nr. 6
Du wirst mich nicht mögen, wenn ich wütend werde
Chicago hatte so ein besonderes Flair. Die windige Stadt, die Stadt der Kriminalität, aber auch die Kriminalität war heruntergekommen seit den 30ern, als die Prohibition und Al Capone sie berühmt gemacht hatten. Da war der seltsame Charme der Speicher am Hafen, die alten Gebäude, die engen Straßen. Man konnte sich leicht vorstellen in den 20ern oder 30ern zu sein, und frühen Jazz oder Swing zu hören.
Weil Mick neu in Chicago war – tatsächlich hatte er die Gegend von L.A. fast überhaupt nicht verlassen seit dem Krieg – entschied sich Bruce, ihm eine Führung zu geben. Sie würden schließlich zusammenarbeiten, also mussten sie sich näher kennenlernen, und welchen besseren Weg gab es da als spazierenzugehen und über das Leben zu reden.
Mick war ziemlich beeindruckt von den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu seiner Heimatstadt. Da war eine Menge Licht, hoch aufragende Gebäude, die meisten älter als in L.A. Die Stadt erstreckte sich mehr in die Ebene, nicht auf die Hügel wie in seiner Stadt. Er mochte die Innenstadt, und es gab dort immer noch ein bisschen Leben, obwohl es nach Mitternacht war.
Sie verließen die Lichter und Sehenswürdigkeiten und machten sich auf zur Hafenkante. Die Gebäude hier waren nicht so beeindruckend, die heruntergekommenen Lagerhallen erzeugten eher eine düstere Atmosphäre. Mick hörte plötzlich auf zu gehen und brachte seinen Begleiter mit einer Geste zum Schweigen. Er schloss seine Augen und nahm eine lange Brise ein, dabei bewegte er den Kopf nach links und rechts. Bruce stand dabei, alarmiert dass irgendwas nicht stimmte, aber nicht in der Lage zu erkennen was los war. Mit einem Rauschen der Luft war Mick verschwunden. Bruce hatte kaum eine Chance sich umzublicken, als er den Vampir auch schon leicht von der linken Seite rufen hörte: „Kommst du?“
Er rannte die schmale Gasse hinauf, in die Mick verschwunden war. Es war dunkel und er konnte kaum die Umrisse von Mülltonnen und Eingangsstufen in dem Nebel sehen. Es schien, dass sein Freund in der Hinsicht keine Probleme hatte. Bruce hörte Geräusche in der Entfernung und beeilte sich. Was er sah, ließ ihn den Atem anhalten.
Ein paar Jungs, Teenager, in Leder gekleidet, umkreisten einen kleinen Jungen, nicht älter als vielleicht zehn, und zogen ihn mit Worten und Messern auf. Der Kleine hatte einen Sack mit Süßkram, den er schützend vor sich hielt, und er war außer sich vor Furcht, nahe an einem Nervenzusammenbruch. Seine Kleider und sein Haarschnitt zeigten, dass er aus dem besseren Viertel der Stadt kam.
Mick stand abseits, weil er wusste, dass er im Fall des Eingreifens riskierte, dass jemand sein Messer an dem Jungen arbeiten ließ.
Mick begann zögernd zu handeln. „Hey, was macht ihr da?“
„Der kleine Scheißer hier hat seine Gruppe verloren und ist über was gestolpert, was wir ihn nicht sehen lassen wollten. Also, wir haben einfach nur ein bisschen Spaß. Süßes oder Saures?“
Mick hatte schon gerochen, was der Junge nicht hätte sehen sollen: Eine Leiche lag ein paar Meter entfernt neben einem Müllcontainer. Sie würden den kleinen Zeugen umbringen, da führte kein Weg dran vorbei.
Mick gestikulierte an Bruce, er solle näher kommen. Er wollte nicht riskieren, dass der Mann wütend wurde, aber er wollte, dass die Bande abgelenkt war, weil sie zwei Ziele hatte – drei mit dem Jungen. Vielleicht würden sie sich teilen, was es einfacher machen würde, den Jungen in Sicherheit zu bringen.
Es waren fünf, niemand von ihnen größer als Mick, aber er wollte weder sich noch seinen Freund offenbaren, also musste er auf die Messer aufpassen.
Er entschied sich, sie zu reizen. „Hey, wisst ihr, der Junge hat nicht mehr gesehen als ich. Warum nehmt ihr es nicht mit mir auf?“
Sie rührten sich, beobachteten ihren Anführer um zu sehen, was sie tun sollten. Sie diskutierten untereinander leise, ob er bluffte oder nicht. Natürlich konnte er sie hören.
„Ich bluffe nicht. Da liegt ein Toter an dem Container da drüben. Ich könnte jetzt die Polizei rufen.“
Was er wollte, geschah, aber es geschah schneller als er gedacht hatte. Zwei von ihnen griffen ihn an, zwei rannten zu Bruce, und einer hielt den kleinen Jungen im Griff und bedrohte ihn mit dem Messer an der Kehle.
Mick boxte den ersten in den Magen, trat dem zweiten ins Knie und benutzte einen Karateschlag auf seinen Nacken, um ihn bewusstlos zu machen. In einem Moment war er hinter dem Anführer und schlug das Messer aus seinem Griff, wodurch der Junge frei wurde.
Bruce wurde von den anderen beiden umkreist. Weil er sich bisher rausgehalten hatte, wussten sie nicht, ob sie ihn verletzten sollten. Bruce’ Augen leuchteten in einem unnatürlichen Limonengrün. Mick machte sich Sorgen. Er griff sich einen der Angreifer von hinten. Der junge Mann aber drehte sich um und stach auf Mick mit dem Messer ein.
Mick brüllte und verwandelte sich. Er trat den Rowdy weg und griff das Messer, um es herauszuziehen. Aber jetzt hatte Bruce genug. Als er sah, wie sein Freund angegriffen wurde, und in der Annahme, dass er schwer verletzt war, sank er auf die Knie und grollte und seufzte. Seine Kleider rissen auf, Knöpfe flogen weg. Seine Haut bekam eine kränklich grüne Farbe, und er wuchs mit einer alarmierenden Geschwindigkeit, bis er die anderen einige Dezimeter überragte. Die verblüfften Jünglinge beobachteten ihn, an ihre Plätze gefesselt durch den Schock. Sogar der Kleine hörte auf zu weinen und saß auf der Straße mit offenem Mund.
Dann röhrte der Hulk und warf einen der Teenies gegen einen Müllcontainer. Mick nahm das als sein Zeichen, schnappte sich den Jungen und rannte um sein Leben. Er wusste noch nicht, wie viel Kontrolle die Kreatur über sich hatte, und ob sie Freund und Feind unterscheiden konnte, wenn sie in vollem Adrenalin-Modus war.
Mick bog um eine Ecke und blieb stehen. Während er den Jungen hinstellte, blickte er zurück. Die jungen Männer waren entweder bewusstlos oder genügend verletzt, um ihnen nicht zu folgen oder wegzulaufen, aber der Hulk war weg.
Mick hatte eine harte Entscheidung zu treffen. Sollte er seinen Freund verfolgen und den Kleinen alleinlassen, oder…
Er setzte den Jungen auf eine Treppe und schloss dessen Jacke. „Du bleibst schön hier sitzen, Freund, okay? Ich schicke Hilfe.“
Auf dem Weg durch das Schlachtfeld und darüber hinaus rief Mick bei der Polizei an und erzählte ihnen, wo sie einen verlorenen Jungen finden konnten, um ihn heimzubringen, und eine Gruppe von Übeltätern, und eine Leiche. Sie würden die Geschichten eh nicht glauben, die das Kind über ein großes grünes Monster und einen Vampir erzählen würden, die zu seiner Rettung erschienen waren. Das hätte auch eine Killerkatze und ein grünes schleimiges Etwas sein können. Schließlich war Halloween.
Er rannte in die Richtung, die der Hulk genommen hatte, während er auf Vampirgeschwindigkeit ging, sobald er außer Sichtweite war. Nicht dass das jetzt noch eine Rolle spielte. Er benutzte den Geruch der Kreatur um sie zu finden, die seltsame Mixtur von zu viel Adrenalin und einen chemischen Gestank, den Bruce nicht hatte, wenn er er selbst war. Der Spur zu folgen war nicht schwer, schließlich waren da auch noch zerschmetterte Holzzäune und Mülltonnen auf dem Weg.
Die Spur endete in einem Park. Der Hulk war immer noch wütend und riss links und rechts Büsche aus. Mick rannte schneller und stellte sich der Kreatur in den Weg. Das grüne Monster blieb nicht stehen, sondern schob Mick zur Seite. Der Vampir wurde in einen Baum geschleudert, aber er erholte sich schnell und stellte sich erneut vor den Hulk. Mick verwandelte sich, zeigte seine Reißzähne und brüllte. Die Kreatur zögerte, sie erkannte eine verwandte Seele, ein anderes starkes Raubtier.
Micks Augen wurden wieder braun. „Komm schon, Bruce. Das braucht es jetzt doch nicht mehr. Beruhige dich. Der Junge ist in Sicherheit. Du kannst mich eh nicht töten. Ich bin keine Bedrohung für dich. Ich bin dein Freund.“
Mick versuchte, den Hulk mit kurzen Sätzen zu beruhigen, er sprach zu ihm wie mit einem verschreckten Pferd oder einem verängstigten Hund. Der Hulk hörte intensiv zu und legte seinen Kopf auf die Seite. Plötzlich drehte er sich um und rannte weg. Aber da war keine Aggression mehr in seiner Körpersprache, nur Furcht und Scham.
In einem Strauchdickicht fand Mick den kleinen Mann, nur in zerrissene Hosen gekleidet, erschöpft über jede menschliche Erfahrung hinaus. Als Mick näher kam, zog Bruce sich ins Dunkel zurück, bis er ihn einen Moment später erkannte.
„Hey, Kollege.“ grüßte Mick ihn. „Bist du bereit, heimzugehen?“
„Es tut mir leid, Mick. Ich hab wieder die Kontrolle verloren.“ Bruce klang verschämt.
„Kein Problem. Das passiert. Du hast niemand Unschuldigen verletzt, aber du hast die Bande erschreckt und den Jungen gerettet. Die werden die Geschichte eh nicht so erzählen, wie sie passiert ist, denke ich.“
„Ich hab dir wehgetan.“
„Ich heile schnell, mach dir keine Sorgen. Siehst du?“ Er zeigte ihm, wo das Messer das Hemd durchdrungen hatte, die Haut war heil. Auch die blauen Flecken von dem Schlag, den der Hulk ihm versetzt hatte, waren nicht mehr sichtbar.
Bruce nickte. Er zitterte in der kalten Nachtluft. Mick bot ihm seinen Mantel an. Bruce schaute ihn fragend an. Mick grinste. „Mir ist nie kalt, Freund. Ich schlafe in einer Kühltruhe.“
„Wirklich?“
„Übrigens, warum reißt dein Hemd auf, aber deine Hosen nicht?“
„Keine Ahnung. Ich kaufe immer die eher weite Sorte. Und es sieht so aus, dass ich in der Gegend lange nicht so stark wachse wie überall sonst.“ Er grinste anzüglich. „Schade, das.“
Mick lachte. „Du meinst, so wie die Bodybuilder auf Steroiden?“
Bruce gab ihm einen spielerischen Stubs. „Mach mich nicht wütend. Aber – danke dass du mich zurückgeholt hast. Ich brauche jemanden wie dich, der auf mich aufpasst.“
„Es scheint, dass ich auch so jemanden wie dich brauche. Wir könnten uns dabei abwechseln, der Held zu sein.“
„Alles klar. Lass uns zusammen in den Sonnenuntergang reiten. Oder Sonnenaufgang, wie’s aussieht.“
Auf ihrem Weg zurück zum Auto waren beide Männer tief in Gedanken versunken. Beide hatten versucht, mit ihrem Leben allein klarzukommen, aber waren gescheitert. Jetzt hatten sie eine Chance, eine Art Bruder zu haben. Das war ein gutes Gefühl. Halloween war schließlich eine Familientradition.