"Bittersweet Symphony"
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Kapitel 07 – 'Digging Deeper'
Auf dem Weg zurück nach Hause überlegte Beth lange warum Glühwein eigentlich Glühwein genannt wurde. Sie streckte im Gehen die Arme vor sich aus und betrachtete ihre Finger. „Kein Glühen“, dachte sie laut und kicherte dann über ihre eigenen Worte. Ihre Stimme leierte irgendwie, das Sprechen war anstrengender als sonst und ihre Zunge fühlte sich an wie ein aufgeweichtes Brötchen. Ein weiteres Kichern verselbstständigte sich und wurde von Sekunde zu Sekunde alberner, bis Beth wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft japsen musste. Sie breitete die Arme aus als würde sie auf einem Seil balancieren, weil ihr plötzlich das Gleichgewicht abhanden gekommen war. Gerade als sie damit rechnete im nächsten Moment über ihre eigenen Füße zu fallen, hielt sie ein starker Griff am Unterarm aufrecht. Sie räusperte sich um ein weiteres Lachen zu unterdrücken, denn aus dem Augenwinkel sah sie Alex verbissenen Gesichtsausdruck. Erste jetzt bemerkte sie, dass Alex kein Wort gesprochen hatte, seit dem die zwei den Weihnachtsmarkt verlassen hatten. Und während sie sich alkoholselig über das warme Gefühl im Bauch und den Knoten in der Zunge amüsierte, ging er nur schweigend neben ihr her und blickte auf den verschneiten Gehweg. Beth schluckte ihr Kichern herunter und bemühte sich Ernst zu bleiben. Es folgte Stille und für ein paar Schnitte war nur das rhythmische Knirschen des frischen Schnees unter den Schuhsohlen zu hören. Beth stieß einen angestrengten Atemzug aus, der sofort an der kalten Winterluft kondensierte. Sie sah zu dem trübselig wirkenden Mann neben sich und drohte schon wieder aus der Bahn zu geraten woraufhin Alex kurzer Hand ihren Arm in seine Armbeuge legte, damit sie sich an ihm festhalten konnte.
„Dein erster Schwipps?“ fragte Alex ungewohnt desinteressiert.
Beth antwortete ihm nicht sondern studierte den hochgewachsenen Mann neben sich. Es war bereits Dunkel und die Straßenlaternen tauchten sein Gesicht in Schatten. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ stellte sie als Gegenfrage und wunderte sich darüber wie deutlich ihre Aussprache klingen konnte wenn sie sich Mühe gab.
„Es ist nichts…“, tat Alex ab. Die Lüge hinter dieser Äußerung war leicht zu durchschauen. An der Art wie er es nicht fertig brachte ihr dabei ins Gesicht zu sehen und an der Art wie er im nächsten Augenblick empor zum Himmel schaute und mit den Worten: „Heute kann man die Sterne besonders gut sehen“, das Thema wechseln wollte. Neben einer zugeschneiten Parkbank machte er schließlich Halt und nahm Beth’ Hand von seinem Arm, damit er den Schnee von der Sitzfläche fegen konnte. Sofort vermisste Beth die Wärme an ihrer Seite, die von seinem Körper ausgegangen war. Deshalb kuschelte sie sich unbewusst dicht neben ihn, als er mit einem lauten Seufzer auf der noch feuchten Bank Platz nahm. Alex legte den Kopf in den Nacken und Beth tat es ihm gleich. Die Sterne leuchteten heute wirklich besonders hell und je länger die beiden in den Himmel blickten desto mehr kleine Lichtpunkte schienen aus der Dunkelheit aufzutauchen.
„Kennst du das Gefühl, wenn du jemanden vermisst? Du sitzt allein nachts an deinem Fenster und schaust in den Himmel, und du stellst dir vor wie dieser Jemand auch gerade an seinem Fenster sitzt und die Sterne beobachtet, dann fühlst du dich ihm irgendwie nah, weil ihr in diesem Moment beide die Sterne betrachtet?“ philosophierte Alex plötzlich.
Beth’ Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten Lächeln. Da steckte ein richtig tiefsinniger Kerl hinter dieser coolen Fassade. Ein Kerl, der einsam war….
„Wer war dieser Mann heute auf dem Weihnachtsmarkt?“ fragte sie und ließ ihren Kopf zur Seite auf seine Schulter rollen, denn es war eindeutig zu unbequem den Nacken auf dem Rand der Parkbank abzustützen. „Warte….“, sagte Alex und schob seinen Arm um ihre Schultern damit sie eine gemütlichere Stütze hatte, während sie weiterhin das Sternenzelt beobachtete.
Er schloss für einen Moment die Augen und ließ die Szene noch mal vor seinem inneren Auge ablaufen. Er war sich so sicher gewesen, dass er Josef zwischen den Besuchern des Weihnachtsmarktes gesehen hatte.
Für einen kurzen Augenblick war ganz euphorisch gewesen Josef wieder zu sehen, nach so langer Zeit. So gerne wollte er seinen alten Kumpel in die Arme nehmen. Obwohl das irgendwie schwul wirken würde. Deshalb hätte ihm ein männlicher Händedruck oder ein ‚High Five’ auch vollkommen gereicht. Herrgott, er hatte ihm so viel zu erzählen.
Alex wusste nicht ob der Typ auf dem Weihnachtsmarkt wirklich sein ehemaliger bester Freund gewesen war. Dafür ging es zu schnell. Eine Sekunde war er da, die nächste schon wieder weg. Er wusste nur, dass er sich seit der Begegnung irgendwie verloren fühlte. Vielleicht war es gar nicht Josef, vielleicht war es nur irgendein Kerl, der ihm ähnlich sah, grübelte Alex. Er erwartete die übliche Melancholie, die ihn immer überkam wenn er an Josef dachte. Doch plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sich gar nicht mehr soooo traurig fühlte. Er hatte zwar seinen besten Freund verloren, aber heute hatte er auch etwas Neues gefunden. Besser gesagt es hatte ihn gefunden. Sie hatte ihn gefunden. Alex öffnete die Augen und sah zu Beth herüber. Ihr Hinterkopf lag inzwischen schwer auf seinem Arm und klemmte die Blutzufuhr zu seinen Fingern ab. Ihre leicht glasigen Augen blicken immer noch fasziniert zu den Sternen und ein kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr einsam.
„Ich dachte, ich hätte einen Freund gesehen“, begann Alex, „aber es war wohl nur ein Wunschtraum.“
„Wünsche gehen manchmal in Erfüllung“, sprach Beth mit leiser, leicht säuselnder Stimme. Sie blickte immer noch zum Himmel und sah in dem Moment eine kleine Sternschnuppe aufblitzen. Noch bevor sie Alex darauf aufmerksam machen konnte, war der Stern schon in der Erdatmosphäre verglüht.
„Haben Engel auch Wünsche?“ fragte er ohne sein Gesicht von ihr abzuwenden.
Beth lächelte und drehte den Kopf zu ihm. Für einen Moment sah sie ihm tief in die Augen und Alex hätte schwören können, dass die Gänsehaut die ihn plötzlich überkam durch Beth’ gekonnten Augenaufschlag ausgelöst wurde. Nicht von den kalten Temperaturen.
„Ja“, hauchte sie und Alex musste über ihre Alkoholfahne schmunzeln. „Ich wünsche mir, dass ich meine Aufträge erfülle, dass die Menschen glücklich sind, dass ich ganz viel Freude auf die Erde…“
„Halt, Stopp, Stopp, Beth“, kicherte Alex. „Ich meine, was wünschst DU dir? Für dich!“
Beth blinzelte verwirrt: „Für mich?“
„Klar, du kannst doch nicht ewig an deine Aufträge denken“, erklärte Alex und während er sprach wurde er wieder zu dem lustigen Alex, den sie bis jetzt selten erlebt hatte…..aber von dem sie absolut bezaubert war. „Wenn du immer nur an die Arbeit denkst, dann bekommst du noch ein Burn-Out-Syndrom und ich glaube so was ist für einen Engel gar nicht gut…..“, brabbelte er. „Was ist mit dem Vergnügen? Hast du denn noch nie etwas nur für dich getan? Nur zu deinem Spaß?“
Kopfschüttelnd verzogen sich Beth’ Mundwinkel nach unten.
„Na dann wird es aber höchste Zeit!“ verkündete Alex bestimmend.
„Ich würde gerne einmal Schlittschuhlaufen“, gestand Beth und plötzlich fielen ihr tausend Dinge ein, die sie gerne mal tun würde. Euphorisch sprang sie auf, breitete die Arme aus, warf den Kopf in den Nacken und drehte sich im Kreis. Voller neu entdeckter Lebensfreude wirbelte sie umher und rief ihre Wünsche hoch zum Sternenzelt: „Ich würde gerne einmal nach Paris, ich würde gerne einmal mit Delphinen schwimmen, ich würde gerne einmal einen ganzen Tag am Strand liegen und mich eine Woche lang nur von Eiscreme ernähren,….“ Beth drehte sich schneller und schneller: „Ich würde gerne ein Kätzchen haben, und einmal selbst Autofahren….Ich würde gerne einen Schal stricken, ich würde gerne einmal auf ein Rockkonzert…..Ich würde mich gerne einmal verlieben…..“ Mit den Worten geriet Beth ins Taumeln. Sie verlor das Gleichgewicht und plumpste laut lachend neben der Parkbank in den tiefen Neuschnee. Dort blieb sie kichernd liegen. Sie hatte sich noch nie gestattet ihre eigenen Wünsche laut auszusprechen….aber sie jetzt in die Nacht hinaus zu rufen war befreiend und machte Beth furchtbar glücklich.
Alex lachte mit ihr und stand von der Bank auf. Er blickte für eine Sekunde auf den albern gackernden Engel herab, drehte ihr den Rücken zu und ließ sich kurzerhand direkt neben Beth in den Schnee fallen. Die Schneedecke war weich und zart wie Puder. Alex begann seine Arme und Beine zu bewegen.
Was machst du da?“ fragte Beth belustigt.
„Einen Schnee-Engel!“
Für einen Moment war die Welt um das ungleiche Pärchen herum ohne Sorgen. Die zwei lachten, bewarfen sich mit Schnee und hinterließen ihre Engels-Abdrücke neben der Parkbank. Dann kehrte Stille ein. Leicht außer Atem räusperte sich Alex. Er hatte bemerkt, dass Beth neben ihm zu bibbern begann. Ihm war nicht entgangen, dass Beth seit dem sie bei ihm aufgetaucht war stets mit ein und dasselbe Kleid getragen hatte, egal ob sie nun bei ihm in der Wohnung oder draußen auf der Strasse waren. „Du musst bis auf die Knochen durchgefroren sein. Willst du meine Jacke?“ fragte er leise. Beth nickte. Es war komisch, aber Beth hatte tatsächlich eine Gänsehaut und dass, obwohl Engel doch gar nicht frieren. Alex sprang auf und reichte ihr die Hand. Dankbar zog sich Beth an ihm hoch. Seine Handfläche war so schön warm, dass sie ihn gar nicht mehr loslassen mochte. Also spazierten die zwei Hand in Hand den Weg durch die verscheite Landschaft.
„Erzähl mir von ihm“, begann Beth wie aus dem Nichts nachdem sie in Alex’ Jacke geschlüpft war.
„Von Josef? Da gibt es nicht viel zu erzählen….er war mein bester Freund…..“, antwortete er ein bisschen weniger betrübt, als noch zu Anfang des nach Hause Weges.
„War?“
„Ja, wir waren wie Brüder. Verstehst du? So eine Art Seelenverwandtschaft.“
„Das hört sich schön an“, dachte Beth laut.
„War es auch….aber plötzlich….plötzlich hat er den Kontakt abgebrochen…ich habe keine Ahnung wieso….“, Alex zuckte mit den Schultern und umfasste unbewusst Beth’ Hand ein kleines bisschen stärker. „…und seit dem….“
„Bist du einsam“, beendete sie seinen Satz.
„Könnte man so sagen…..“, gab er mit einem traurigen Lächeln zu. „Weißt du, ich war noch nie der geselligste Typ. Ich habe viele Bekannte….aber echte Freunde sind selten.“
„Was ist mit der Liebe?“
Alex lachte und warf dabei den Kopf nach hinten. „Oh, dass ist ein ganz heikles Thema.“
„Bist du in jemanden verliebt? Eine Frau?“ fragte Beth naiv.
„Nein, und wenn es so wäre, dann hoffentlich in eine Frau…….Männer sind einfach nicht mein Fall“, grinste er und Beth verstand nicht was er damit meinte. „Ich war schon lange nicht mehr verliebt“, erklärte er weiter.
Neugierig drehte Beth sich beim Laufen zu ihm. „Wie ist es so?“
„Was?“
„Na, das Verliebt-Sein“, entgegnete Beth als wäre Alex begriffsstutzig.
„Puh“, er atmete lange aus. „Er ist schön.“
„Wie? Schön!“
„Na eben schön….Herrgott, Beth….willst du mir allen Ernstes erzählen, dass du noch nie verliebt warst?“
Beth nickte mit großen Augen.
Für einen Augenblick hatte Alex Mitleid mit dem weltfremden Wesen an seiner Seite. „Wenn du verliebt bist, dann willst du jede Sekunde mit dem anderen verbringen und wenn ihr euch zufällig berührt, dann kribbelt es am ganzen Körper. Du kannst nur noch an diese Person denken. Tag und Nacht….und so weiter…dieses ganze romantische Zeugs halt.“
„Also bin ich verliebt in dich?“ fragte Beth voller Erstaunen.
Alex verschluckte sich an seinem nächsten Atemzug und stoppte seine Schritte um dann laut loszulachen. „Wie zur Hölle kommst du denn darauf?“
Beth wich offensichtlich enttäuscht zurück und setzte ihren besten Schmollmund auf. „Na, seit dem du mein Auftrag geworden bist kann ich nur noch an dich denken. Und ich will auch immer bei dir sein um zu sehen, was du so treibst“, sie kam ein Stückchen näher und flüsterte: „Und vorhin auf dem Weihnachtsmarkt hat es irgendwie gekribbelt als du das Lebkuchenherz um meinen Hals gehängt hast.“ Sie hielt ihm das Herz entgegen, als wäre es ein Beweismittel.
„Du verwechselst da was“, sprach Alex sanft. Ok, ok, auch er hatte auf dem Weihnachtsmarkt etwas zwischen ihnen gespürt und er konnte nicht bestreiten, dass dieser Engel ihm in den letzten Stunden ans Herz gewachsen war….aber verliebt sein? Da gehört wohl mehr dazu als nur…..ja….was war das eigentlich zwischen ihm und Beth?....Sympathie? Körperliche Anziehungskraft? Sie war ein sehr hübscher Engel, dass musste er zugeben. Aber auch genau da lag das Problem: Sie war ein ENGEL. Kein Mensch! Im Gegensatz zu ihm….
„Du bist nicht verliebt in mich…..wir sind nur Freunde“, erläuterte er ihr so einfühlsam wie möglich.
Beth’ Blick erinnerte immer noch an ein kleines trotziges Mädchen. Dabei wollte sie doch so gerne verliebt sein und Alex erschien plötzlich so perfekt um die Rolle ihrer ersten großen Liebe einzunehmen. Er sah gut aus. Er war irgendwie lustig und roch gut. Ein kleiner Seufzer entwich aus ihrem Brustkorb.
„Glaub mir Beth, du wirst schon wissen wenn du wirklich verliebt bist…..so ein Gefühl kann man einfach nicht NICHT bemerken. Komm schon, lass uns nach Hause gehen…war ein langer Tag.“ Alex gab Beth mit seiner Schulter einen Schubs. „Wenn du willst gehen wir morgen Schlittschuhlaufen….“
Sofort erhellten sich ihre Gesichtszüge. Mit einem Lächeln auf den Lippen setzten die Beiden ihren Weg fort und Beth griff wie selbstverständlich wieder nach Alex’ Hand. Eine Sekunde machte sein Herz einen Hüpfer, den er aber schleunigst wieder ignorierte. Verliebt sein…so ein Quatsch…. .
tbc