"Bittersweet Symphony"Kapitel 08 – "the powers that be" Den Rest des Weges war Alex schon wieder tief in Gedanken versunken. Was tat er hier eigentlich? Einem Engel etwas über Liebe erzählen? Er? Ausgerechnet er? In seiner Kehle erstarb ein sarkastisches Lachen. Wo er ja auch so viel Ahnung davon hatte wie sich das anfühlte. Verliebt sein… Sein Herz zog sich bei dieser Erkenntnis schmerzend zusammen und verhärtete zu dem nutzlosen Klumpen der es schon immer gewesen war.
Er stieß ein leises Seufzen aus, und verfolgte einen Moment trübsinnig seinen kondensierenden Atem in der kalten Winterluft.
Beth kleine Hand fühlte sich in seiner eigenen warm an. Wie lange hatte er schon nicht mehr dieses Gefühl genossen? Wärme. Wann hatte er das letzte Mal seine Finger mit denen einer Frau verschränkt? Haut an Haut. So nahe. Es war das erste Mal, seit er seinen besten Freund verloren hatte, dass er jemanden wieder an sich ran ließ. Geschweige denn jemandem gestattete seine Hand zu halten. Es war auch das erste Mal, dass er lächelnd durch den Schnee lief. Überhaupt, dass er lächelte.
Und es fühlte sich so gut an. Trotz der beißenden Kälte schien er von Innen heraus zu glühen.
Sein Blick huschte verstohlen zu ihren Wangen, die von dem Alkohol herrlich rosig waren.
Er betrachtete ihre süße kleine leicht gerötete Stupsnase, ihre langen Wimpern, die großen blauen Augen und ihr perfektes von blonden Locken umrahmtes Profil. Sie war wirklich ein hübscher Engel…Für einen Moment begann er sich zu Fragen wie weich wohl ihre Haut unter seinen Lippen sein würde.
Alex zuckte in seinen Gedanken zusammen und wäre fast gegen einen Laternenpfahl gelaufen, als Beth seinen Blick erwiderte und ihn anlächelte.
„Weißt du das hier fühlt sich gerade richtig… ich weiß auch nicht.. schön an. Ich friere gar nicht mehr“, sagte der Engel schwärmerisch, wobei ihr Daumen kurz über seine raue Handfläche fuhr. „ Mir ist warm und wenn du meine Hand hältst, kann ich nicht umkippen. Meine Beine sind so weich wie Pudding, Alex.“
Sie kicherte, „und alles dreht sich.“ Mit dem freien Zeigefinger ihrer Hand wollte sie an ihre kleine stupsige Nase fassen, verfehlte aber immer wieder glucksend ihr Ziel.
Alex schmunzelte. „Das liegt daran, dass du zu viel getrunken hast. Der Gleichgewichtssinn in deinem Ohr arbeitet nicht mehr richtig“, versuchte er ihr sachlich zu erklären, fragte sich jedoch sofort ob so etwas überhaupt bei einem Engel existierte.
Als Beth von einem kalten Windhauch erfasst wurde, spürte Alex wie sie erneut an seiner Seite zu frösteln begann.
Etwas in seinem Arm zuckte, schrie geradezu danach, sie an sich zu ziehen und vor dem immer stärker werdenden Schneefall zu schützen. Er widerstand jedoch schließlich dem Drang und fragte stattdessen: „Wieso frierst du eigentlich plötzlich? Ich meine, am Anfang, als ich dich kennen gelernt habe, saßt du nur in diesem dünnen Kleid und Barfuß in meiner saukalten Bude. Jetzt hast du über deinem Kleidchen einen nicht wirklich dicken Mantel, von dem ich nebenbei bemerkt gar nicht weiß wo er her kommt…“, er deutete mit einem Kopfnicken auf ihren roten Winterparka, “ …können Engel denn überhaupt frieren?“
Selbst überrascht von seinem plötzlichen Wissensdurst strich er sich ein paar Schneeflocken aus dem dunklen Haar.
Beth musste kurz innehalten und sich anstrengen den Hagel von Worten der auf sie niederschlug zu verstehen. Die vielen Fragen überforderten sie in ihrem etwas angetrunken Zustand und ihr Hirn schien in einer Art Nebelwolke fest zu sitzen. „ Also ähm… Eigentlich na ja…“, stotterte sie. Das war wirklich eine sehr gute Frage die er da ansprach, eine die sie sich selbst schon gestellt hatte. Denn soviel sie wusste, hatte sie noch nie Kälte empfunden oder Hitze. Ihr Körper war nicht dazu geschaffen Temperaturunterschiede wahrzunehmen. Da wo sie herkam gab es keine Kälte. Es war immerzu angenehm warm und roch nach Plätzchen, welche die Engel so fleißig backten.
Und überhaupt war alles so verwirrend. Sie wusste so vieles über die Menschen und doch gleichzeitig so wenig. Vor allem wenn es um Gefühle ging.
Wie fühlte sich Trauer an? Wie war es wenn man aufgeregt war? Die Menschen sprachen von ‚Herzklopfen‘, ihres jedoch hatte bisher stets in einem gleichmäßigen Rhythmus geschlagen. Außer in dem Moment, als Alex ihr das Lebkuchenherz umgelegt hatte. Da war ihr Herz irgendwie aus dem Rhythmus geraten.
Beth’ Schützling musterte sie neugierig und wartete auf eine Antwort.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. Unter seinem intensiven Blick wurde ihr schon wieder einige Grade wärmer. „Eigentlich glaube ich nicht. Aber seit ich hier bin -in deiner Nähe- scheint mein Körper sich zu verändern. Vielleicht ist das so, wenn man auf die Erde kommt. Man muss sich anpassen“, sinnierte sie, langsam im Meer seiner Augen versinkend.
„Hmmh… Ist es dort wo du herkommst schöner als hier?“ fragte Alex mit aufrichtigem Interesse. Sie bogen schlurfend um die Ecke, in die Straße zu seinem bescheidenen Wohnviertel.
Beth nickte gedankenverloren und wusste nicht worauf er hinaus wollte. „ Ja, warum fragst du?“
„Ich bin nur neugierig“, antwortete er mit einer kleinen Notlüge.
In Wahrheit genoss er es mit ihr zu reden, überhaupt mal wieder mit jemandem zu reden. Er konnte nicht leugnen, dass ihre Anwesenheit ihn irgendwie erfüllte und er jede Minute davon auskosten wollte. In ihm brannte der Wunsch, sie würde ihm ALLES über ihr Leben als Engel erzählen.
Nach wenigen Schritten hatten sie endlich den Wohnblock erreicht und standen nun vor seiner Haustür. Alex wollte den Schlüssel aus seiner Jackentasche ziehen, doch kaum hatte er ihn entglitt jener auch schon seinen von Kälte steifen Fingern und fiel zu seinen Füßen in den Schnee. Beth ging zeitgleich mit ihm in die Knie, da geschah das Unvermeidliche. Sie stießen mit den Köpfen zusammen, so dass ihre wackeligen Beine ihrem Gewicht nicht mehr stand halten konnten und Beth mitten auf ihren Po in den dichten Pulverschnee plumpste.
„ Beth?“ erklang Alex’ teils belustigt, teils besorgte Stimme direkt neben ihrem Ohr.
Sie stöhnte leise auf. Während er sich den Kopf rieb. „Ist alles okay?“ erkundigte er sich.
Der Schneehaufen in den sie gefallen war, sah trügerisch weich aus, war aber in Wirklichkeit unangenehm hart. Eine Hand wurde ihr entgegengehalten nach der sie mit zitternden Fingern griff. „Ja schon okay, mir geht’s gut. Es ist ja nur Schnee“, antwortete sie ein wenig benommen. Als sie sich an seiner Hand nach oben zog, rutschten ihre Stiefel erneut weg und sie zerrte Alex gleich mit in den Schnee.
Er war direkt auf ihr gelandet. Aus Angst er könnte sie erdrücken hatte er sein Gewicht abgestützt und sich über sie gebeugt, sein Atem strich wie ein angenehmer Sonnenstrahl über ihre Haut und ließ die dünne Eisschicht langsam schmelzen.
Für einen Moment sagte keiner ein Wort, ihre Blicke waren fest ineinander verkeilt.
Die Zeit schien still zu stehen. Beth Atem ging nun heftiger und auch Alex schien sich diesem Rhythmus angepasst zu haben, wie man an den kleinen Wölkchen in der Luft unschwer erkennen konnte.
Seine blauen Augen lösten sich kaum merklich von ihren und fixierten ihre Lippen. Ihr Körper fühlte sich so weich und warm unter ihm an. So einladend.
Er neigte den Kopf, sein Gesicht immer näher an das ihre heran rückend.
„Na los küss sie schon!“, genau in dem Moment sprach eine leiernde, irgendwie nervende Stimme seine Gedanken aus. Alex wand den Blick und erspähte eine hagere Silhouette im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung. Dort stand ein Junge, der um diese Zeit eigentlich nichts mehr hier Draußen zu suchen hatte.
Aus großen braunen Augen schaute er die beiden an.
Alex fühlte sich ertappt. Was musste diese Situation für ein Bild abgeben? Er, zu später Stunde zwischen den schmalen Beinen einer hübschen und zugleich ziemlich betrunkenen Frau, die halb im Schnee versunken war…..das war definitiv kein Anblick für einen Jungen, welcher sich seiner Stimme nach zu urteilen mitten im Stimmbruch befand.
Peinlich berührt raffte sich Alex sich und suchte dieses Mal einen sicheren Stand um Beth hoch zu helfen. Immer noch ganz außer Atem strich sie ihren Mantel glatt.
„Da hängt ein Mistelzweig direkt über euch, und jeder weiß, dass man sich unter einem Mistelzweig küssen muss“, die auf und ab tanzende Stimme des Jungen strapazierte Alex Nerven. Leicht gereizt musterte er den Jungen. Dieser kleinen Möchtegern-Casanova wünschte sich wohl selbst unter dem Zweig zu stehen damit er auch mal ein Mädchen küssen konnte.
Beth Herz machte bei dem Wort ‚küssen‘ einen Satz und sie begann sich auszumalen wie das wohl war. Was genau geschah eigentlich bei einem Kuss? Würde es wohl gut schmecken von Alex geküsst zu werden? Müsste sie auch irgendwas tun? Oh Gott, sie hatte doch noch nie jemanden geküsst, was wenn sie es total falsch machen würde?
Alex blickte kurz zu dem Mistelzweig, der scheinbar aus heiterem Himmel an seiner Tür angebracht worden war. Wie kam der überhaupt dahin? Er hätte sich schwören können, dass der gestern noch nicht dort hing.
Beth biss sich auf die Unterlippe und tippte nervös auf der Stelle herum.
Alex hob seine Hände und strich über den Kragen ihres Mantels, als wollte er ihn glätten. Als er nun wieder sprach war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Magie schien die Luft um die beiden herum knistern zu lassen. Mit einem schiefen Grinsen zog er die Augenbrauen hoch, neigte den Kopf zur Seite und sah ihr in die Augen. „Eigentlich halte ich nichts von albernen Bräuchen wie diesem, aber scheint mir, die Nervensäge da drüben ist erst zufrieden wenn ich dich küsse“, sagte Alex zwinkernd. Dann wurde sein Gesichtsausdruck plötzlich ernst. „ Möchtest du, dass ich dich küsse Beth?“
Wieso erschien ihm dieser Gedanke selbst so verlockend. So richtig. So
absolut richtig. Hatte er nicht gerade noch zu ihr gesagt, dass da nichts war zwischen
ihnen? Warum also verspürte er plötzlich diesen Drang ihre Lippen zu
berühren?
Sie erschauerte angenehm, als eine warme Hand zu ihrem Nacken wanderte.
„Willst du mich denn küssen?“ krächzte sie heiser.
Mit dem anderen Arm umschloss er ihre Taille.
„Wenn du willst, dass ich es will.“
Sie schloss die Augen, den Atem anhaltend.
„Vielleicht...“, wisperte sie einem Windhauch gleich.
Und dann geschah es.
Sie erschauerte angenehm, als eine warme Hand zu ihrem Nacken wanderte.
Mit dem anderen Arm umschloss er ihre Taille. Sie schloss die Augen, den Atem anhaltend und dann geschah es. Er küsste sie.
Ganz langsam kam Alex näher.
Vorsichtig schmiegte sich seine Haut an ihr Gesicht. Beth konnte die Stoppeln seines Drei Tage Barts auf ihrer Nasenspitze spüren. Sie atmete den Duft seiner Haut ein und genoss seinen Geruch so sehr, dass sie am liebsten niemals mehr aufgehört hätte ihn tief in sich einzusaugen. Alex Lippen waren rau und doch unsagbar weich auf ihrem Mund.
Sie hatte noch nie zuvor jemanden geküsst, aber irgendwie schien ihr Körper von selbst zu wissen was zu tun war. Sie ließ sich einfach von ihm leiten.
Er schmeckte süßer als der süßeste Zuckerguss. Wenn sie geglaubt hatte den Himmel zu kennen, wurde sie gerade eines besseren belehrt. Sie lernte ihn gerade erst kennen und sie wollte nie wieder von dort weg.
Doch dann plötzlich, ganz abrupt schwand dieses wundervolle Gefühl und die Tore schlossen sich. Alex stieß keuchend den Atem aus.
„Woooow“, applaudierte der Zuschauer und zerstörte damit das immer noch anhaltende Kribbeln in Alex’ Lippen. Er funkelte den Jungen an und sagte ohne Beth’ Blick zu begegnen: „Wir sollten… wir sollten rein gehen. Es ist kalt.“
Beth nickte wie in Trance, während sie ihm durch die Haustür folgte.
Auf ihren Lippen konnte sie ihn noch immer schmecken.
tbc